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Mein Feld ist die Welt

Die Geschichte der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) – Teil 3

 

Die frühen 80er Jahre des 19. Jahrhunderts waren schwere Jahre für die HAPAG, und die unternehmerischen Entscheidungen verschärften die Krise sogar noch. Eine Reederei mit der Größe der HAPAG und in der Konkurrenzsituation sowohl im Inland als auch im Ausland konnte man eben nicht in Nebentätigkeit führen. Doch genau das taten die neuen Männer an der Spitze der HAPAG, Oscar Ruperti (Vorsitzender im Direktorium) und William Henry O’Swald (Stellvertreter Rupertis), seit sie am 1. Juli 1880 die Nachfolge von Adolph Godeffroy angetreten hatten. Quasi strategielos bewegte sich die HAPAG in einem Umfeld voller Dynamik und geriet dadurch nicht nur in Rückstand, sondern auch in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Als ein Schritt in eine wieder bessere Zukunft wurde eine Umstrukturierung gesehen, die zum 30. März 1883 in der Führung der HAPAG wirksam wurde: Ein Verwaltungsrat und ein Aufsichtsrat wurden als weitere Gremien neben dem Vorstand eingeführt. Neu als Direktor in den Vorstand berufen wurde John Meyer, der bisher als Bürochef bei der HAPAG tätig war.

Allerdings agierte die HAPAG in dieser Zeit in ihrem Hauptgeschäftsfeld wenig glücklich. Nach einigen Verkäufen stellte die HAPAG Anfang der 1880er Jahre auch neue Schiffe in Dienst, doch es waren nicht die Schiffe, die die Reederei benötigt hätte. Einzige Innovationen waren der Bau von zwei Dampfern auf deutschen Werften (die Rugia und die Rhaetia), was dem deutschen Schiffbau generell half, sowie die elektrische Beleuchtung der Passagiersalons auf der neuen Hammonia, die dieses Komfortmerkmal als erstes deutsches Schiff bot. Doch das neue Flaggschiff der HAPAG passte nirgendwo so wirklich hinein – als Schnelldampfer zu langsam, für den Fahrplan der HAPAG allerdings zu schnell und wie die Tabelle 1 zeigt auch von der Größe her nicht mehr konkurrenzfähig, wenn man an der Spitze mitspielen wollte.

Tabelle 1: Entwicklungen im Schiffbau auf dem Nordatlantik am Beispiel der größten Neubauten 1881 – 1885

 

Reederei Land Schiff Indienst-

stellung

Rauminhalt Geschwindigkeit
Norddeutscher Lloyd Deutsches Reich Elbe 1881 4510 BRT 16 Knoten
Inman Line Groß-britannien City of Rome 1881 8415 BRT 16 Knoten
Guion Line Groß-britannien Alaska 1881 6932 BRT 16 Knoten
Cunard Line Groß-britannien Servia 1881 7392 BRT 16 Knoten
HAPAG Deutsches Reich Rugia 1882 3467 BRT 13 Knoten
Norddeutscher Lloyd Deutsches Reich Werra 1882 4815 BRT 16 Knoten
HAPAG Deutsches Reich Hammonia 1883 3969 BRT 14,5 Knoten
HAPAG Deutsches Reich Rhaetia 1883 3535 BRT 13 Knoten
Norddeutscher Lloyd Deutsches Reich Fulda 1883 4814 BRT 16 Knoten
C. G. Transatlantique Frankreich Normandie 1883 6283 BRT 16 Knoten
Guion Line Groß-britannien Oregon 1883 7375 BRT 18 Knoten
Red Star Line Belgien Westernland 1883 5736 BRT 14 Knoten
Norddeutscher Lloyd Deutsches Reich Eider 1884 4719 BRT 16 Knoten
Norddeutscher Lloyd Deutsches Reich Ems 1884 4728 BRT 16 Knoten
Cunard Line Groß-britannien Umbria 1884 7718 BRT 19 Knoten

Quelle: Kludas (ohne Jahr)

Der Norddeutsche Lloyd wuchs in jener Zeit zur größten Reederei heran. Besonders die Schnelldampfer waren beim Reisepublikum sehr beliebt, und in schneller Folge wurden neue Schnelldampfer gebaut, die häufige Abfahrten ermöglichten, allerdings kaum Weiterentwicklungen waren, sondern auf Bewährtes setzten. Das sollte in einigen Jahren dazu führen, dass wegen der Dynamik und Innovationskraft, die damals in der Schiffbauindustrie herrschte, der Norddeutsche Lloyd plötzlich abgehängt war. Doch Mitte der 1880er Jahre war es die HAPAG, die der Konkurrenz hinterher fuhr, während die Bremer von der Spitze winkten.

Andere internationale Reedereien eilten entsprechend davon, allerdings fuhren die britischen Reedereien auf der Route Liverpool – New York, während die kontinentaleuropäischen Reedereien die Kanalroute in die Neue Welt nutzten. Dadurch befanden sich zu der Zeit eher die deutschen, belgischen, holländischen und französischen Reedereien miteinander im Wettstreit. Die Briten sah man nicht als direkte Konkurrenz, und die großen britischen Nordatlantikreedereien waren damals nicht in den Kanalhäfen aktiv.

Die HAPAG hingegen lag nicht nur mit ihren Schiffen zurück, sondern hatte auch gewaltigen Ärger vor der eigenen Haustür.

Albert Ballin greift in das Geschehen ein

Nach einer wirtschaftlichen Schwächeperiode begann die Konjunktur wieder anzuziehen. Das wirkte sich auch auf die Auswanderung aus. Die Agenten der HAPAG und der Norddeutsche Lloyd hatten die notwendigen Konzessionen für die Auswanderung aus Deutschland. Doch die Auswanderung aus anderen europäischen Regionen lag nicht in deren Interessengebiet, so dass Expedienten diese Aufgabe übernahmen. Dazu gehörten die Unterbringung der Auswanderer in den Hafenstädten und die Vermittlung an die Reedereien. Die deutschen Agenten jedoch hielten die Expedienten für Konkurrenten und versuchten sie, aus dem Markt zu drängen. Auch die Firma Bolten, Schiffsagent für die HAPAG, nahm den Expedienten keine Passagen ab.

Ebenfalls in Hamburg ansässig war die Auswanderer-Expedition Morris & Co, die von Albert Ballin geleitet wurde. Ballin war 1857 als jüngstes von 13 Geschwistern in Hamburg geboren worden. Seit 1879, also ab dem Alter von 22 Jahren, leitete Ballin die Firma Morris & Co alleine. Sein großes Problem war, dass es keine Möglichkeit einer Passage mit den etablierten deutschen Reedereien für „seine“ Auswanderer gab. Also blieb nur der indirekte Weg über England. Doch die Nachfrage war deutlich größer als die Kapazität auf der Nordseeroute vom Kontinent nach England, und zudem war die Reise über England unbequem für die Auswanderer. Denn die Schiffe vom Kontinent auf die Insel liefen die Ostküstenhäfen Englands an, doch von dort aus fuhren keine Schiffe nach Amerika, so dass die Auswanderer in England – einem fremden Land mit fremder Sprache – mit dem Zug zu den Überseehäfen reisen mussten. Da ein Auswanderer nur ein Mal ausreiste, hätte es Ballin egal sein können, wie die Auswanderer in die USA kamen, nachdem sie ein Mal gezahlt hatten. Doch die Auswanderer berichteten ihre Erfahrungen in die Heimat, wo potentielle neue Kunden warteten – also bemühten sich Ballin und natürlich alle anderen Agenturen und Expedienten sehr um die Auswanderer.

Ballin erkannte zudem, dass selbst wenn die HAPAG und ihr Agent, die Firma Bolten, zu einer Zusammenarbeit bereit gewesen wären, die Kapazität der HAPAG-Schiffe auf der Nordatlantikroute gar nicht ausreichte, um alle Auswanderer ab Hamburg zu befördern. Die Auswanderer, die zwischen 1879 und 1881 direkt oder indirekt über Hamburg ausreisten, betrugen zahlenmäßig

1879:  25.000
1880:  69.000
1881: 123.000

Es waren also neue Kapazitäten erforderlich. Da kam Ballin die neu gegründete Tramp-Reederei [1] von Edward Carr gerade recht. Ballin überredete Carr, die beiden im Bau befindlichen Schiffe Australia und America für den Transport von 600 Zwischendeckpassagieren auszustatten – und nach Fertigstellung dieser Schiffe dann einen regelmäßigen Nordatlantikdienst aufzunehmen. Seine Überredungskünste hinterlegte Ballin mit folgenden Garantien: Volle Belegung der Auswandererplätze an Bord zu einem Passagepreis von 82 Mark, und wenn keine Vollauslastung erreicht wurde, garantierte Ballin eine Entschädigung von 20 – 35 Mark pro frei gebliebenem Platz.

Ballins Rechnung ging auf. Jedes Carr-Schiff im Auswanderdienst war voll besetzt, obwohl es langsamer war als ein Dampfer der etablierten Reedereien. Und zudem waren diese Schiffe besonders beliebt, denn da neben der Ladung nur Auswanderer befördert wurden, stand den Auswanderern die volle Decksfläche zur Verfügung! Das zeigte sich auch bei der Anzahl der eingesetzten Schiffe: Von zwei Schiffen 1881 stieg die Flotte der Carr-Auswandererschiff auf fünf im Jahr 1883.

 

Die Entwicklung in Zahlen (Quelle: Kludas (ohne Jahr), Band I, S: 149):

Reederei Beförderte Auswanderer ab Hamburg 1881 Beförderte Auswanderer ab Hamburg 1883
HAPAG 68.000 55.000
Carr 4.000 16.500
Britische Reedereien 47.600 13.000

 

Natürlich reagierten die Platzhirsche auf den Herausforderer und senkten ihre Passagepreise – worauf Carr ebenfalls mit abgesenkten Passagepreisen reagierte, und so begann eine Abwärtsspirale, die Carr aufgrund seiner geringeren Betriebskosten leichter aushalten konnte als die großen Reedereien. Und nicht nur die HAPAG und der Norddeutsche Lloyd waren davon betroffen, sondern auch die belgischen, holländischen, französischen und britischen Reedereien. Man versuchte mit internationalen Konferenzen den Preisverfall zu stoppen – doch die echte Lösung konnte nur in Hamburg gefunden werden. Dort war die HAPAG massiv unter Druck, denn weder leistete sie im Preiskampf echte Gegenwehr, noch hatte sie ein Konzept, um auf die Schnelldampferstrategie des Norddeutschen Lloyd zu reagieren. Realistisch betrachtet war die HAPAG international nur eine drittklassige Reederei.

Den ersten Schritt zur Lösung der akuten Probleme machte die HAPAG mit der anfangs erwähnten veränderten Führungsstruktur im Jahr 1883. Ein zweiter Schritt folgte 1885, als die HAPAG zum 1. Januar das bisher vom Schiffsagenten Aug. Bolten betriebene Passagegeschäft in eigene Regie übernahm. Der dritte Schritt bestand aus zwei außerordentlichen Generalversammlungen der HAPAG-Gesellschafter am 10. Januar und 4. Februar 1885, auf denen beschlossen wurde, dass künftig nur noch Aufsichtsrat und Vorstand die Geschäfte führen sollen. Neuer Aufsichtsratschef wurde Woldemar Nissen, neuer Vorstandsvorsitzender John Meyer. Die Herren Ruperti und O’Swald, unter deren Regie HAPAG so deutlich zurückgefallen war, spielten innerhalb der Reederei keine Rolle mehr.

Vorläufiges Ende von Preiskämpfen

Carr verhandelte jetzt mit der HAPAG über die Übernahme seiner Reederei. Das jedoch zog sich noch hin. Schneller wirksam wurden die Beschlüsse der Kölner Konferenz, auf der die holländischen, belgischen, französischen und deutschen Reedereien im Nordatlantikdienst überein kamen, den Passagepreis für eine Überfahrt im Zwischendeck, die sogenannte Zwischendeckrate, auf 100 Mark festzulegen und der Carr-Linie eine Sonderrate in Höhe von 90 Mark zuzugestehen.

Die HAPAG hatte gehofft, die Schiffe der Carr-Linie nun schnell übernehmen zu können und so den Konkurrenzkampf in Hamburg zu beenden, doch erst im März 1886 war die HAPAG bereit, den geforderten Kaufpreis von 2,5 Millionen Mark für die vier Schiffe zu bezahlen.  Doch da war ein neuer Mitspieler aufgetreten: Die Firma Rob. M. Sloman schloss sich mit der Carr-Linie zur Union-Linie zusammen, und damit saß die HAPAG richtig tief in der Patsche. Die Union-Linie verfügte nämlich über zwölf Schiffe, und wenn die alle für die Auswanderer ab Hamburg zur Verfügung stehen würden  … Doch Sloman war bereit zu verhandeln. Am Ende stand ein Pool-Vertrag, der festlegte, dass die HAPAG 3 von 5 Abfahrten nach New York anbot und die Union-Linie 2 von 5 Abfahren nach New York bediente. Doch das war noch nicht alles: Das gesamte Passagegeschäft für die HAPAG und die Union-Linie wurde von der HAPAG übernommen, die der Union-Linie ein Viertel der Passagiere zuweisen musste.

Wichtigster Punkt des Poolvertrags war jedoch eine Personalie. Albert Ballin trat am 1. Mai 1886 im Alter von 28 Jahren als selbstständiger Leiter des Passagegeschäfts in die Dienste der HAPAG. Und er führte sich gleich gut ein. Denn durch den Pool-Vertrag zwischen HAPAG und der Union-Linie war jeder Auswanderer, der indirekt ab Hamburg ausreiste, ärgerlich. Doch einen erneuten Ratenkampf, also einen Preiskrieg, wollte auch niemand. Ballin hatte nun die Idee, den Engländern, denen das Skandinavien-Geschäft wichtiger war als das Hamburg-Geschäft, aufzuzeigen, dass sie in Skandinavien angreifbar waren und auf diese Art und Weise einen höheren Anteil am Hamburg-Geschäft für die HAPAG und die Union-Linie zu sichern. Ballins Plan ging so: Der Stettiner Lloyd hatte seinen Amerikadienst eingestellt. Ballin schlug vor, dass die HAPAG einspringen und die Fahrten von Stettin über Christiansand und Göteborg nach New York aufnehmen sollte. Der HAPAG-Vorstand ließ sich auf Ballins Plan ein. Der Stettin-New York-Dienst der HAPAG wurde am 1. Juli 1886 eröffnet – und bereits im September 1886 waren die Engländer verhandlungsbereit. In Verhandlungen, an denen neben den englischen Reedereien auch der Norddeutsche Lloyd beteiligt war, wurden folgende Festlegungen getroffen:

Die englischen Reedereien verlangten für eine Passage im Zwischendeck für Hamburger Auswanderer, die ab einem britischen Hafen die Atlantikpassage begannen, 85 Mark. Die Preise der deutschen Reedereien wurden auf 90 Mark für die Union-Linie, 95 Mark für die HAPAG, 100 Mark für den Baltimore-Dienst des Norddeutschen Lloyd und 110 Mark für den Schnelldampferdienst des Norddeutschen Lloyd festgelegt. Im Gegenzug verzichtete die HAPAG auf ein Anlaufen von skandinavischen Häfen und sagte den Engländern einen Anteil von 33 – 37% an den Hamburger Auswanderern zu. Bei Über- oder Unterschreiten der Quote sollte es zu Anpassungen der englischen Preise kommen. Zur Überwachung wurde ein Clearing-House in Hamburg eingerichtet. Damit waren wichtige Hebel zur Verhinderung von ruinösen Preiskämpfen, den so genannten Ratenkriegen, installiert [2].

Echte Schnelldampfer für die HAPAG

Nachdem es nun Regelungen gab, die einerseits Sicherheiten vor einem Preiskrieg und andererseits auch deutlich mehr Planungssicherheit gaben, konnte die Geschäftsführung der HAPAG sich darum kümmern, die Reederei wieder nach vorne zu bringen. Bereits 1883 hatte es dazu erste Aktivitäten gegeben, und 1884 hatte der damals neue Direktor John Meyer eine Denkschrift zum Bau von Schnelldampfern erarbeitet, auf dessen Basis Angebote von Werften eingeholt wurden. Dabei gab es zwei Besonderheiten: Zum einen begrenzte die Elbe den Tiefgang der Schiffe, zum anderen wollte die HAPAG Schnelldampfer mit Zweischraubenantrieb [3], was damals eine echte Innovation war. Der Zweischraubenantrieb bot eine zusätzliche Sicherheit, da bei Ausfall einer Maschine üblicherweise die zweite Maschine verfügbar blieb. Aufgrund der finanziellen Lage der HAPAG musste man die Pläne 1884 erstmal zurückstellen. Doch sie kamen erneut auf den Tisch, als sich die HAPAG wieder in ruhigerem Fahrwasser befand. Auch Albert Ballin sprach sich für Schnelldampfer aus, und so beschloss die Gesellschafterversammlung am 6. Oktober 1887 den Bau von zwei Doppelschrauben-Schnelldampfern. Die Aufträge gingen an die Werften Laird Brothers in Birkenhead (England) und die A.G. Vulcan in Stettin (Deutsches Reich), die die günstigsten Angebote abgegeben hatten.

Kritik gab es für das bisher kaum erprobte Zweischraubenkonzept – und für die Entscheidung, einen Auftrag an eine deutsche Werft zu vergeben. Das Herz des Schiffbaus schlug damals noch in Großbritannien, und wegen fehlender Auftragsvergabe an deutsche Werften gab es auch kaum Technologietransfer. Zudem hatte sich die deutsche Stahlindustrie noch nicht auf die  Bedürfnisse des Schiffbaus eingestellt, so dass viele Bauteile aus England herangeschafft werden mussten. Allerdings befand sich die deutsche Stahlindustrie fernab der Küste, und vor der Reichsgründung von 1871 lag der Schiffbau nicht im Fokus der Regierungen, in deren Ländern die Stahlindustrie ansässig war. Die deutsche Regierung nach 1871 sah allerdings die Notwendigkeit eines starken deutschen Schiffbaus, und der Marineminister setzte den Bau deutscher Kriegsschiffe auf deutschen Werften durch. Das jedoch reichte nicht aus, um den deutschen Schiffbau voranzubringen. Auch die Reeder waren gefordert, wobei die Reeder das komplette kaufmännische Risiko selbst trugen. So schaffte die Reichsregierung Rahmenbedingungen u. a. durch den Aufbau eines nationalen Klassifikations- und Versicherungswesens sowie Zollfreiheit beim Import von Schiffbaumaterial, die die Auftragsvergabe zum Bau kommerzieller Schiffe an deutsche Werften erleichtern sollten. Und bei der Vergabe von Postdampferverträgen machte die Reichsregierung den Bau der Schiffe auf deutschen Werften zum Vertragsbestandsteil. Die HAPAG hatte unabhängig von Postverträgen mit den Bauaufträgen für die bereits erwähnten Rugia und Rhaetia einen ersten Schritt getan; nun war der Bau eines Schnelldampfers auf einer deutschen Werft der zweite Schritt.

Ein wichtiger Aspekt in den damaligen Jahren, als sehr viel Dynamik im Schiffbau steckte, war das richtige Erkennen und Einschätzen von Trends. Verschlief man eine Entwicklung, bedeutete es auf jeden Fall einen Rückschritt gegenüber den Konkurrenten. Andererseits konnte eine richtige Einschätzung von Innovationen dazu beitragen, den Konkurrenten zumindest vorübergehend zu enteilen. Wichtige Innovationen jener Jahre waren der Stahlschiffbau (zuvor waren die Schiffe aus Eisen gewesen, das die Rümpfe aus Holz verdrängt hatte), der bereits erwähnte Zweischraubenantrieb und auch die dreifach- und vierfach Expansionsdampfmaschinen.

Ungefähr zeitgleich mit der HAPAG hatten auch die britischen Reedereien White Star Line und Inman Line neue Zweischrauben-Schnelldampfer in Auftrag gegeben und kratzten an der 10.000 BRT-Marke, womit die Neubauten etwa 25% voluminöser waren als die der HAPAG. Doch die HAPAG hatte mit Beschränkungen durch die Wassertiefe der Elbe zu leben – und man sah die White Star Line und die Inman Line nicht als direkte Konkurrenten an. Im Vergleich zu den kontinentaleuropäischen Reedereien, die in gleichen Gewässern unterwegs waren, schob sich die HAPAG mit ihren beiden Neubauten jedoch an die Spitze.

Noch während der Bauphase der beiden Schnelldampfer wurde Albert Ballin zu einem Direktor der HAPAG berufen, was unterstreicht, dass die HAPAG den Wert der Personalie Ballin erkannt hatte. Ebenfalls in diese Zeit fielen weitere Veränderungen – so hatten zwei Schiffe der HAPAG im Zwischendeck Kammern eingebaut bekommen, in denen Familien oder kleinere Gruppen für sich untergebracht werden konnten. Das erhöhte den Reisekomfort im Zwischendeck deutlich und wurde fortan bei allen Neubauten berücksichtigt. In New York wurde nach Auslaufen des Abkommens mit den Schiffsagenten Richard & Boas ein eigenes Passagebüro der HAPAG eröffnet, dessen Adresse ab 1. Januar 1889 Broadway Nr. 37 lautete. Und es wurde das Liniennetz erweitert. Ab 1888 wurde von Hamburg aus Baltimore direkt angelaufen, ab März 1890 gab es einen Gemeinschaftsdienst mit Sloman von Hamburg nach Philadelphia.

Ein weiterer wichtiger Schritt wurde von der Politik initiiert. Hamburg trat dem Deutschen Zollverein bei. Deswegen musste die HAPAG ihren Standort am Jonas-Hafen aufgeben und zum Amerika-Kai im Segelschiffhafen umziehen

Am 24. April 1889 war es dann so weit: Der Stettiner Vulcan lieferte den ersten Schnelldampfer der HAPAG ab – die nach der deutschen Kaiserin benannte Augusta Victora [4] war nach den beiden Inman Dampfern City of New York und City of Paris der dritte Zweischrauben-Schnelldampfer der Welt. Ihr folgte am 25. Juni 1889 der zweite Schnelldampfer der HAPAG, die Columbia. Fünfter Zweischrauben-Schnelldampfer der Welt war die Teutonic der White Star Line, die ihre Jungfernfahrt am 7. August 1889 begann. Als deren Schwester Majestic am 2. April 1890 ihren Dienst aufnahm, stand mit der Normannia ein dritter Schnelldampfer der Augusta-Victoria-Klasse der HAPAG kurz vor der Ablieferung, und ein vierter Neubau dieser Klasse, die Fürst Bismarck, die erneut in Stettin von der Vulcan-Werft gebaut wurde, folgte 1891. Die Schnelldampfer der HAPAG waren ein voller Erfolg, und das homogene Quartett versetzte die HAPAG in die Lage, eine wöchentliche Schnelldampferabfahrt auf sich in etwa entsprechenden modernen Schiffen anzubieten. Damit hatte die HAPAG die Führung auf der Kanalroute, die vom Kontinent via Southampton nach New York führte, übernommen. Und ganz besonders wichtig war und dementsprechend stolz war man bei der HAPAG darauf, dass man durch die neuen Schnelldampfer bei der Postlaufzeit zwischen New York und London die Listen der amerikanischen Postverwaltung anführte! Und auch die Passagierzahlen zeigen, dass das Wirken Ballins und die neuen Schnelldampfer der HAPAG ein voller Erfolg waren:

Jahr Beförderte Passagiere
1887 42.000
1889 (Unterjährige Indienststellung Augusta Victoria und Columbia) 59.420
1891 (Alle vier Schnelldampfer im Einsatz) 115.997

 

Die kontinentalen Konkurrenten reagierten: Die französische C.G.T. baute ein Einzelschiff, die La Touraine, die aber gegen den homogenen Dienst der HAPAG keine Chance hatte. Und der Norddeutsche Lloyd antwortete mit dem Bau von zwei weiteren Schnelldampfern der Flüsseklasse, die als Einschraubenschiffe nicht mehr dem neuesten technischen Stand widerspiegelten und auch unter anderen Aspekten den HAPAG-Schnelldampfern nicht das Wasser reichen konnten. Die holländischen und belgischen Reedereien hatten noch weniger entgegen zu setzen und forderten eine Einberufung einer neuen Konferenz. In zähen Verhandlungen, bei denen sich ein weiteres Mal Ballins besonderes Verhandlungsgeschick zeigte, wurden dann Ergebnisse erzielt, die zur Gründung des Nordatlantischen Dampfer-Linien-Verbandes führten. Die britischen Reedereien blieben allerdings außen vor, und das sollte schon in ein paar Jahren die Konkurrenten wieder an den Verhandlungstisch bringen, dieses Mal dann mit den Briten.

Eine wichtige Neuerung in Verbindung mit den Schnelldampfern war, dass sie Cuxhaven, das damals zu Hamburg gehörte, anliefen. In Cuxhaven wurden die Passagiere der 1. und 2. Klasse mit Tendern zum und vom Schiff gebracht und dann mit der Eisenbahn weitertransportiert. Für die Zwischendeckpassagiere änderte sich nichts; sie fuhren weiter ab und bis Hamburg.

Die Erfindung der Kreuzfahrt

Die Schnelldampfer schufen der HAPAG neue Probleme. Sie waren erfolgreich in den Sommermonaten von April bis Oktober. In den anderen Monaten jedoch reiste nur, wer unbedingt musste. Schnelldampfer waren so nicht rentabel zu betreiben. Im ersten Winter für die Schnelldampfer, 1889/90, wurden die damals zwei Dampfer aufgelegt und der Nordatlantikdienst mit den langsameren Schiffen und Frachtern aufrechterhalten. So richtig zufrieden war man mit dieser Lösung allerdings nicht, denn man sparte zwar die Betriebskosten, doch auch aufgelegte Schiffe kosteten Geld. Noch schwerwiegender war allerdings das Personalthema. Denn aufgelegte Schiffe benötigten kaum Besatzung. Die damaligen Arbeitsverträge gestatteten zwar die Entlassung der nicht mehr benötigten Besatzungsmitglieder – doch es gab da ein personalwirtschaftliches Problem: Auf den Schnelldampfern arbeiteten die besten Leute der HAPAG, und wenn man die in den Wintermonaten entließ, konnte man nicht sicher sein, dass man sie im Frühjahr wieder einstellen konnte. Die HAPAG benötigte also eine Lösung, die sicherstellte, dass die Schnelldampfer auch im Winter rentabel waren und die besten Besatzungsmitglieder in Diensten der HAPAG gehalten werden konnten.

Erneut war es Albert Ballin, der die passende Lösung hatte: Er entwickelte die Vergnügungsfahrt zur See. Das war eine Reise mit der Dauer von zwei Monaten, die in Cuxhaven begann und endete und ins Mittelmeer führte, wo 13 Häfen angelaufen wurden, für die die dortigen Agenten attraktive Landprogramme zusammenstellten. Angeboten wurde diese exklusive Reise in Europa und Amerika als „Orient-Exkursion“, und mit 241 Buchungen war die Vollauslastung erreicht, denn es wurden nur Unterkünfte in der 1. Klasse angeboten. Viele Interessenten mussten unberücksichtigt bleiben. Am 22. Januar 1891 um 13 Uhr ging dann ab Cuxhaven die Reise in den sonnigen Süden los – und Albert Ballin, der als charmanter und witziger Gesellschafter galt, war mit seiner Frau ebenfalls unter den Passagieren.
In allen angelaufenen Häfen erregte die Augusta Victoria große Aufmerksamkeit – niemals zu vor war so ein großes Schiff in diese Häfen eingelaufen. Die Reise, die am 22. März 1891 in Cuxhaven endete war rundherum ein voller Erfolg gewesen. Auch in den Folgejahren bot die HAPAG also in den Wintermonaten diese Vergnügungsreisen zur See an, um ihre Schnelldampfer samt Besatzungen auch im Winter gewinnbringend für die Reederei einzusetzen. Damit waren die Kreuzfahrten „erfunden“. Viele Jahre war die HAPAG führende Kreuzfahrtreederei. Schon bald bot sie neben den „Orient-Exkusionen“ im Winter auch Nordlandfahrten im Sommer an und zog dafür einen ihrer besten Schnelldampfer aus dem Fahrplan. Das konnte jedoch keine Dauerlösung sein, und so überlegte man in Hamburg neu. Es war auch keine Option, eines der alten Schiffe als Kreuzfahrtschiff einzusetzen, damit riskierte man seinen guten Ruf. Doch was sprach dagegen, eigene Schiffe für diese Exkursionsreisen zu bauen? – Diese Überlegung reifte und wurde im neuen Jahrhundert gleich mit zwei Schiffen umgesetzt, der Prinzessin Victoria Luise (1901) und der Meteor (1904). Bis heute ist die Kreuzfahrtindustrie eine wachsende Industrie, wie an den jährlichen Neubauten deutlich wird, während die Passagierlinienschifffahrt heute nur noch in Form von Fährverbindungen weiterlebt. Die transkontinentalen Verbindungen werden heute überwiegend von Fluggesellschaften in Form von Linienflügen bedient. Doch so weit dachte damals noch niemand.

Die Cholera in Hamburg

Der Sommer 1892 war heiß und trocken, die Elbe führte Niedrigwasser. Das Flusswasser war warm – und es wurde ungereinigt auch als Trinkwasser für Hamburg verwendet. Die Entnahmestelle war bei Flut auch dem Abwasser, das über Siele in die Elbe geleitet wurde, ausgesetzt. Senat und Bürgerschaft in Hamburg hatten zwar viele Jahre über eine Filteranlage gesprochen, sich jedoch nicht einigen können – im Gegensatz zum benachbarten Altona, das damals eine eigenständige Großstadt in Preußen war und über eine Sandfilteranlage bei der Trinkwassergewinnung aus der Elbe verfügte.

Die Cholera war in Teilen Russlands endemisch, und möglicherweise kam der Cholera-Erreger mit einem Auswanderer, der via Hamburg in ein neues Leben aufbrechen wollte, nach Hamburg und dort über das Elbwasser in die Trinkwasserversorgung der Hansestadt. Am 14. August 1892 brach die Cholera aus – erstes Opfer war ein Kanalarbeiter. Man hielt seine Infektion für eine „normale“ Salmonelleninfektion, wie sie im Sommer üblich war. Auch der Senat war trotz von da an steigender Infektionszahlen unbesorgt und stellte auch für die Auswandererschiffe nach New York noch gesundheitliche Unbedenklichkeitsbescheinigungen aus, so dass die Cholera mit den Schiffen New York erreichte. Am 22. August 1892 gab es bereits 1.100 Cholera-Kranke und 455 Cholera-Tote in Hamburg. Der Ausbruch der Seuche ließ sich nun nicht länger verheimlichen, und am 24. August schickte die Reichsregierung den Bakteriologen Robert Koch, der bei der Seuchenbekämpfung helfen sollte. Seine Bestandsaufnahme fiel für die stolze Hansestadt Hamburg niederschmetternd aus: „Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie in den sogenannten Gängevierteln, die man mir gezeigt hat, am Hafen, an der Steinstraße, an der Spitalerstraße oder an der Niedernstraße.[…] Ich vergesse, daß ich mich in Europa befinde.“ [5]

Für die HAPAG hatte der Ausbruch der Cholera in Hamburg natürlich Konsequenzen. Nachdem die Seuche offiziell war, erließen die amerikanischen Behörden schärfste Quarantänemaßnahmen gegen Schiffe aus Hamburg. Der Auswandererverkehr über Hamburg kam vollständig zum Erliegen. Die Schnelldampfer, der Stolz der HAPAG, wurden in Southampton abgefertigt. – Besonders ärgerlich war, dass die HAPAG kurz vor Ausbruch der Seuche moderne Auswandererhallen in der Nähe des Amerika-Kais eröffnet hatte, die nun völlig brach lagen und damit eine Fehlinvestition waren.

Nach etwa zehn Wochen ebbte die Cholera in Hamburg ab. Nun jedoch waren Senat und Bürgerschaft aufgewacht und erließen so strenge Bestimmungen hinsichtlich Quarantäne und Gesundheitsuntersuchungen für Auswanderer, dass die HAPAG ernsthaft in Erwägung zog, ihren Auswandererdienst von Hamburg nach Nordenham zu verlegen. Im Februar 1893 machte der Hamburger Senat dann Zugeständnisse, und die HAPAG konnte ihren Auswandererdienst ab Hamburg wieder aufnehmen. Doch die Cholera flackerte im September 1893 noch mal wieder auf, ohne dass es zu einem erneuten Seuchenausbruch kam. Dennoch ließ die HAPAG vorübergehend ihre Schnelldampfer in Wilhelmshaven abfertigen.

Im Dezember 1892, möglicherweise auch als unmittelbare Folge der Cholera-Epedimie in Hamburg, nahm auch die HAPAG einen Dienst vom Mittelmeer nach New York auf, den der Norddeutsche Lloyd bereits seit einem Jahr betrieb. Als Nebeneffekt wurde hier eine weitere Einsatzmöglichkeit für die Schnelldampfer in den Wintermonaten abseits der Exkursionen geschaffen.

Dennoch blieb das Thema „Cholera“ und Seuchenverhinderung in Verbindung mit den Auswanderern aus dem Osten aktuell. Die Reichsregierung verhandelte weiter mit der HAPAG und dem Norddeutschen Lloyd, die auf diese Auswanderer angewiesen waren, und am Ende einigte man sich darauf, dass an den wichtigsten Grenzbahnhöfen in Deutschlands Osten Desinfektionsanstalten eingerichtet wurden, durch die alle Auswanderer auf der Durchreise zu den deutschen Überseehäfen gehen mussten. Und die Auswandererhallen in Hamburg wurden so umgebaut, dass sich Menschen dort im Falle einer Quarantäne länger aufhalten konnten. Auch wurden die Desinfektions- und Badeanstalten in den Auswandererhallen erweitert.

1893 entschied die HAPAG, sich im offiziellen Auftritt einen griffigeren Namen zu geben. Als „Packetfahrt“ war sie zwar ebenfalls bekannt, doch das könnte, so war ihre Befürchtung, zu falschen Assoziationen führen. Also wählte man „Hamburg-Amerika Linie“ (HAL) als Bezeichnung und verwendete diese auch im Außenauftritt und besonders dann, wenn man Kunden ansprechen wollte.

Ein großen Bauprogramm

1893 stellte die Cunard Line ihre Schiffe Campania und Lucania in Dienst, die zu der Zeit die Spitzenprodukte des Passagierschiffbaus waren. Das war erstmal kein Problem für die HAPAG, da die Briten nicht als direkte Konkurrenten gesehen wurden. Allerdings erhöhten sich damit die Kapazitäten auf der Nordatlantikroute weiter, und als eine Wirtschaftskrise in den USA sich negativ auf die Auswandererzahlen auswirkte, stand ein neuer Ratenkrieg an. Der daraus resultierende Preisverfall führte dazu, dass sich die betroffenen Reedereien wieder an einen Tisch setzten. Am Ende der Verhandlungen stand eine feste Quote der britischen Reedereien am Auswandererverkehr vom Kontinent.

Doch ein anderes Problem zeigte sich auch: Die HAPAG-Schnelldampfer waren gerade erst zwei bis vier Jahre alt, und wurden dennoch deutlich von den neuen Cunard-Schwestern übertrumpft. Bei dem trotz aller Absprachen intensiven Wettbewerb war es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Konkurrent die Cunard-Schiffe wieder übertrumpfen würde. Das ging so lange, bis die Grenzen der Wirtschaftlichkeit und der Technologie ausgereizt waren – doch Innovationen würden wieder für neue Schübe sorgen. So war es gewesen, als der Schraubenantrieb den Schaufelradantrieb ersetzt hatte, so war es gewesen, als der Stahlrumpf den Eisenrumpf ablöste und so würde es wieder sein, auch wenn die nächste neue Technologie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht absehbar war.

Die HAPAG analysierte ihre Flotte und kam zu dem Schluss, dass sie mit Ausnahme der vier Schnelldampfer sehr heterogen war und dringend verjüngt und modernisiert werden musste. Bei der strategischen Neuausrichtung der Flotte half eine Partnerschaft mit der Werft Harland & Wolff in Belfast. Die war zwar schon exklusiver Partner für die White Star Line, doch da HAPAG und White Star Line keine direkten Konkurrenten waren … Der Vorsitzende von Harland & Wolff, W. J. Pirrie, machte der HAPAG das Angebot, in den Kreis der bevorzugten Kunden von Harland & Wolff aufgenommen zu werden. Die beiden ersten Schiffe dieser Zusammenarbeit erhielt die HAPAG zu einem Vorzugspreis, bei dem Harland & Wolff eine Gewinnmarge von nur 1% hatte.

Die HAPAG verfolgte bei der Auftragsvergabe der neu entwickelten Schiffe eine interessante Strategie: Die ersten beiden von den vier Schiffen ließ er in Großbritannien, in diesem Fall von Harland & Wolff bauen, die weiteren Schiffe wurden auf deutschen Werften gebaut. Diese erhielten dadurch eine Entwicklungshilfe, während die HAPAG gleichzeitig wusste, dass die Neubauten durch die Einbeziehung britischer Werften auf dem neuesten technologischen Stand blieben.

Erste Neubauten auf Basis der Partnerschaft mit Harland & Wolff waren die Schiffe der P-Klasse, die am Ende aus neun Schiffen bestand, die zwischen 1893 und 1899 gebaut wurden und auf der Nordatlantikroute nach  New York zum Einsatz kamen. Die P-Klasse wurde so genannt, weil fast alle Schiffe mit Namen getauft wurden, deren Anfangsbuchstabe ein „P“ war. Sie verfügte über große Ladekapazitäten und konnte auch viele Passagiere, besonders im Zwischendeck, transportieren.

Für die anderen Nordatlantiklinien von Hamburg nach Baltimore, Philadelphia, Boston und Montreal wurde analog zur P-Klasse im New York-Dienst die A-Klasse auf den Weg gebracht – und für den New York-Dienst wurde eine vergrößerte und etwas langsamere P-Klasse entwickelt, die B-Klasse. All diese Maßnahmen ließen die Konkurrenz aufhorchen. Bei der HAPAG, die sich seit 1893 wie bereits erwähnt Hamburg-Amerika Linie nannte, war mächtig Bewegung im Laden, eine ganz andere Dynamik als in den ersten drei Jahrzehnten unter Godeffroy, wo man eher vorsichtig agierte. Und die Maßnahmen zeigten auch einen Strategieschwenk, weg vom ausschließlichen Auswandererverkehr hin zu einer Kombination aus Passagierverkehr und Frachttransport. Das war eine kaufmännische Möglichkeit, Geschäftsrisiken abzusichern. Der Norddeutsche Lloyd setzte auf ein weitverzweigtes Liniennetz und damit darauf, dass eine Konjunkturdelle auf einer Route durch die anderen Routen kompensiert werden konnte. Die HAPAG litt noch unter den Jahren ohne echte Strategie und hatte noch nicht die finanziellen Ressourcen, ein weltweites Liniennetz zu spannen. Man betrieb einen Liniendienst nach Nordamerika als Hauptgeschäft und dazu einen Liniendienst nach Mittelamerika. Deswegen orientierte man sich offensichtlich an der White Star Line, die ebenfalls ohne Subventionen auskommen musste, auf Passagier- und Frachtbeförderung setzte, auf dem Nordatlantik aktiv und auch ein bevorzugter Partner von Harland & Wolff war. In dem Geschäftsbericht, der im März 1897 veröffentlicht wurde, lobte sich die HAPAG dann selbst:

Die Betriebs-Ergebnisse des verflossenen Geschäftsjahres gehören zu den günstigsten, welche unsere Gesellschaft erzielt hat. Wir glauben dabei besonders hervorheben zu sollen, dass dieses Resultat herbeigeführt werden konnte, trotzdem die Auswanderung, welche man bisher als den wichtigsten Geschäftszweig für die am nordamerikanischen Verkehre betheiligten grossen Rhedereien betrachtete, noch immer stockt.

Wir haben die erfolgreiche Entwickelung unseres Betriebes dem Umstande zuzuschreiben, dass wir rechtzeitig die Nothwendigkeit erkannten, den Stützpunkt unseres nordamerikanischen Geschäfts nicht mehr in der Auswanderung zu suchen, und den Muth besessen haben, durch eine Umgestaltung unseres Schiffs-Parkes diesem Verkehr ein Material zur Verfügung zu stellen, welches auch ohne erhebliche Einnahmen aus der Auswanderer-Beförderung, guten Nutzen erzielen zu erzielen vermag.“ [6]

Doch zuvor war die HAPAG noch an einem anderen Meilenstein beteiligt. Bevor sie offiziell in Dienst gestellt worden war, war die Teutonic der White Star Line als Hilfskreuzer bei einer Flottenparade aufgetreten. Einer der Gäste der Flottenparade war der deutsche Kaiser, Wilhelm II, der nicht nur von dem Schiff, sondern auch von dem Konzept angetan war. So folgten dem Auftritt der Teutonic auch Überlegungen im Deutschen Reich, und 1895 war es dann die Normannia der HAPAG, die am 21. Oktober als erster deutscher Hilfskreuzer offiziell in Dienst gestellt wurde und direkt an einem 15tägigen Manöver teilnahm.

Mittlerweile aber hatte der Norddeutsche Lloyd aufgedreht und sich vom „Abgehängten“ zum Trendsetter aufgeschwungen. Mit der Kaiser Wilhelm der Große (1897) stellten die Bremer das erste Schiff mit vier Schornsteinen in Dienst, das zudem das größte und auch das schnellste Schiff der Welt war – erstmals ging das Blaue Band nach Deutschland. Gleichzeitig war der HAPAG nun klar, dass sie wieder kontern musste, wenn sie weiter in der 1. Liga spielen wollte. Da kam es ihr ganz gelegen, dass der spanisch-amerikanische Krieg ausgebrochen war, denn die HAPAG konnte zwei ihrer mittlerweile veralteten Schnelldampfer, die Normannia und die Columbia, an Spanien verkaufen. Doch die Niederlage der Spanier hielten die beiden Schiffe nicht auf, und am Ende kaufte die HAPAG die Columbia wieder zurück und setzte sie wieder im New York-Dienst ein. – Im Jahr 1904 war es dann der russisch-japanische-Krieg, der die HAPAG in die Lage versetzte, ihre drei Schnelldampfer Auguste Victoria, Columbia und Fürst Bismarck an Russland zu verkaufen. Doch das war noch Zukunftsmusik.

Die weiter oben erwähnte Selbstbeweihräucherung der HAPAG in ihrem Geschäftsbericht unterstützte sicherlich auch die Genehmigung der Kapitalerhöhung von 30 Mio auf 45 Mio Mark, die für die weitere Modernisierung und den weiteren Ausbau der Flotte erforderlich war. Im Zeitraum von fünf Jahren, zwischen 1893 und 1898, gelang es der HAPAG, ihre Tonnage von 150.000 BRT auf 336.889 BRT mehr als zu verdoppeln. Damit war die HAPAG die größte Reederei der Welt. Die größte britische Reederei war P&O, die 286.734 BRT bereederte. Doch es gab auch Zweifler und mahnende Stimmen, denn man sah das Risiko, dass sich die Strömungen in den USA durchsetzen könnten, die die Einwanderung begrenzen und Schutzzölle einführen wollten. Die HAPAG sah diese Risiken nicht so dramatisch. Man sah eine Beschränkung der Einwanderung nur gegen Einwanderer aus Südeuropa gerichtet – wenn überhaupt, und in dem Geschäft war die HAPAG nicht tätig. Die Einführung von Schutzzöllen müsste zudem die Einwanderung in die USA nur verstärken. Auch glaubte der HAPAG-Vorstand, dass eine „ernstliche und dauernde Störung dieses Verkehrs kaum denkbar erscheint.“ [7], denn der Handel zwischen Hamburg und den USA war ein Wachstumsmarkt, und beide Seiten hatte großes Interesse daran, dass es so blien.

Mit dem neuen Geld konnte u. a. die Pennsylvania bei Harland & Wolff gebaut werden. Dieses Schiff beeindruckte mit 176,5m als damals längstes Schiff der Welt, das zudem die gewaltige Zahl von 2.700 Passagieren, davon 2400 im Zwischendeck, aufnehmen und zusätzlich 14.500 t Fracht laden konnte. Das waren völlig neue Dimensionen abseits von Schnelligkeit. Und besonders an diesem Schiff wird die neue Strategie der HAPAG abseits der Schnelldampferflotte deutlich. Die Schnelldampfer waren nach nicht mal zehn Jahren im Dienst bereits veraltet, während die Schiffe der P-, B- und A-Klasse über mehrere Jahre hinweg gebaut und auch betrieben werden konnten. Gerade bei den Schnelldampfern, die üblicherweise die Flaggschiffe einer Reederei waren, war der Innovationsdruck besonders groß, da sie durch ihre Geschwindigkeit das Renommee brachten. Aber sie waren im Winter eben auch schwerer einsetzbar, und der Konkurrenzdruck war ganz besonders groß.

Aufbruch in ein neues Jahrhundert

Das Neubauprogramm der HAPAG wirkte sich natürlich auch auf die Absprachen mit den anderen Reedereien aus, und so trat man erneut an den Verhandlungstisch. Es waren zähe Verhandlungen, die im Januar 1899 zum Abschluss kamen. Bereits 1896 hatten sich die führenden kontinentalen und britischen Reedereien erstmals auch auf ein Mindestpreisabkommen für die 1. und 2. Klasse einigen können. Hier waren neue Probleme entstanden, da das Reisendenaufkommen in diesen beiden Klassen stieg und gleichzeitig durch die beständigen Neubauten der Reedereien ohne Abzug der alten Tonnage deutliche Überkapazitäten schuf. Durch das Mindestpreisaufkommen wurde nun auch für die gehobenen beiden Klassen an Bord ein Preiskrieg erstmals wirkungsvoll unterbunden.

1897 weihte die HAPAG mit der Fürst Bismarck zudem den Neuen Hafen in Cuxhaven ein, wo die Passagiere der 1. und 2. Klasse ohne das zeitraubende Tendern direkt ein- und aussteigen können. Von und nach Cuxhaven erfolgte der Transport der Passagiere per Bahn. Die HAPAG versprach sich davon einen größeren Komfort als beim Zustieg in Hamburg, der ausschließlich den Auswanderern vorbehalten werden sollte. Außerdem sollte das Anlaufen von Cuxhaven die Kapazitätsprobleme bei der Abfertigung in Hamburg reduzieren, doch schon bald musste die HAPAG weitere Flächen vom Senat anmieten.

1897 war auch das Jahr des 50jährigen Bestehens der HAPAG. Zu dem Zeitpunkt betrieb die HAPAG folgende Linien:

  1. Schnelldampferdienst nach New York, wöchentlich von April bis Oktober ab Cuxhaven nach New York; im Winter waren die Schnelldampfer auf Kreuzfahrt oder im Mittelmeerdienst eingesetzt, der gemeinsam mit dem Norddeutschen Lloyd betrieben wurde.
  2. Wöchentliche Abfahrten mit den Dampfern der P- und B-Klasse von Hamburg nach New York ganzjährig
  3. Wöchentliche Abfahrt Hamburg – New York mit der Sloman Line
  4. Vierzehntägige Abfahrt Stettin – New York
  5. Wöchentlich Hamburg – Baltimore
  6. Monatlich Hamburg – Galveston und New Orleans
  7. Vierzehntägig Hamburg – Montreal, solange der St. Lorenz-Strom eisfrei war

1898 beschloss die HAPAG, einen Frachtdienst nach Ostasien aufzunehmen – man erweiterte also das Betätigungsfeld und schaffte eine weitere Streuung des Geschäftsrisikos.. Gemeinsam mit dem Norddeutschen Lloyd wollte man ab 1900 den Reichspostdampferdienst nach Ostasien betreiben, der bisher alleine beim Norddeutschen Lloyd lag, allerdings 1900 zur Erneuerung anstand.

1899 hatte die HAPAG mit zwei Havarien zu tun. Die Bulgaria, ein Schiff der B-Klasse, geriet auf dem Weg von New York nach Hamburg in einen schweren Sturm, und die damit zusammenhängende Fahrt löste weltweites Aufsehen aus. Es waren 109 Pferde an Bord, die alle getötet werden musste. Es waren Passagiere an Bord, die von den USA wegen fehlender Geldmittel abgewiesen wurden. Man versuchte, sie in dem schweren Sturm auf ein anderes Schiff zu bringen, was jedoch nur teilweise gelang. Andere mussten auf der Bulgaria bleiben. Die Rettungsschiffe hatten die Bulgaria in dem immer noch tobenden Sturm aus den Augen verloren, und ihre Nachrichten, als sie Häfen erreichten, ließen für das Schicksal der Bulgaria Schlimmstes befürchten. Doch es gelang der Bulgaria, Ponta Delgada auf den Azoren zu erreichen, was wie eine Sensation anmutete und entsprechend gefeiert wurde. Auch alle weiteren Häfen, die die Bulgaria nach der ersten Reparatur auf den Azoren anlief, feierten das Schiff und seine Besatzung.

Im November 1899 wurde die Patria, ein Schiff der P-Klasse, zum Totalverlust. Sie geriet auf einer Fahrt von New York nach Hamburg in Brand. Die Passagiere konnten in Rettungsbooten von Bord gebracht und von einem anderen Schiff aufgenommen werden. Eine Rückkehr der Boote zur brennenden Patria scheiterte jedoch. Ebenfalls scheiterten mehrfache Schleppversuche. Die Besatzung der Patria konnte abgeborgen werden, das Schiff selbst wurde südlich von Deal (Großbritannien) auf Grund gesetzt und war ein Totalverlust.

Die wohl wichtigste Personalentscheidung der HAPAG wurde am 27. Oktober 1899 wirksam: Albert Ballin, der seit seinem Eintritt in die Dienste der HAPAG am 1. Mai 1886 bereits so viel bewirkt hatte, wurde Generaldirektor der HAPAG.

Die größten Reedereien der Welt im Jahr 1900

Nr. Reederei Land Zahl der Dampfer Tonnage in BRT
1 Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, Hamburg Deutsches Reich 91 440.308
2 Norddeutscher Lloyd, Bremen Deutsches Reich 86 388.206
3 British India Steam Navigation Company, London Großbritannien 113 335.188
4 Peninsular & Oriental Steam Navigation Company (P&O), London Großbritannien 59 281.030
5 Elder Dempster & Co, Liverpool Großbritannien 88 278.989
8 Compagnie Générale Transatlantique, Havre Frankreich 62 187.424
11 White Star Line, Liverpool Großbritannien 23 172.012
15 Cunard Steamship Company, Liverpool Großbritannien 25 142.265

Quelle: Kludas (ohne Jahr), Band II, S. 230

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[1] Tramp-Reederei ist eine Reederei, die nicht nach einem festen Fahrplan arbeitet und keine festen Routen anbietet. Damit ist die Tramp-Schifffahrt das Gegenteil der Linien-Schifffahrt.
[2] Nach heutigen Maßstäben waren das ganz klare Preisabsprachen, die in der modernen Marktwirtschaft kartellrechtlich untersagt sind und bei Aufdeckung hohe Strafen für die beteiligten Firmen nach sich ziehen.
[3] In der damaligen Zeit sprach und schrieb man von „Schiffsschrauben“, übrigens auch im englischen Sprachraum, wie z. B. die Bezeichnung „Twin Screw“ verrät. Die damalige Begrifflichkeit wird in diesem Beitrag beibehalten.
[4] Die deutsche Kaiserin hieß allerdings Auguste Victoria. Der Fehler im Namen des HAPAG-Schiffes wurde nach einem Umbau inkl. Verlängerung des Schiffes im Jahr 1897 korrigiert.
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Choleraepidemie_von_1892
[6] Kludas (ohne Jahr), Band II, S. 81
[7] Kludas (ohne Jahr), Band II, S: 87

 

Quellen:
Kludas, Arnold (ohne Jahr), Die Geschichte der deutschen Passagierschiffahrt 1850 – 1990. Das große Standardwerk erstmals in einem Band,  ohne Ort, ohne Verlag.
Kludas, Arnold (2007), Die Geschichte der Hapag-Schiffe. Band 1: 1847 – 1900, Bremen: Hauschild.

Internet:
Choleraepidemie in Hamburg: https://de.wikipedia.org/wiki/Choleraepidemie_von_1892